Das Selchenbacher „Ammepädche“
Früher, etwa bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, kamen auf dem Land die Kinder meist noch bei Hausgeburten auf die Welt. Neben der Kindesmutter und dem Neugeborenen war dabei die wichtigste Person die Hebamme, die durch ihre Sachkunde dafür sorgte, dass das kleine Wesen möglichst gesund und für die Mutter schonend das Licht der Welt erblickte. Im pfalz-zweibrückischen Gebiet, zu dem Selchenbach gehörte, galt ab 1632 eine Hebammenordnung, nach der die Landhebammen „jederzeit, bei Armen und Reichen, bei Tag und Nacht, bei Regen, Sturm und Schnee zu Diensten“ sein sollten. Ab 1816, als die Pfalz zu Bayern kam, galten neue Richtlinien, die sich vor allem mit der Auswahl und der Ausbildung der Hebammen befassten. 1911 gab es im Bezirk Kusel 26 Hebammen; die Ausbildung fand an der Hebammenschule der Universität Erlangen statt.
Erste und bis heute einzige Hebamme in Selchenbach war die 1885 im Ort geborene Elisabeth Aulenbacher. Sie lebte mit ihrer Familie im Unterdorf in der heutigen Gartenstraße und heiratete 1910 den einheimischen Ackerer Adolf Cordier. 1908 nahm sie an der Hebammenausbildung teil und betätigte sich in der Folgezeit als freie, nichtamtliche Hebamme in Selchenbach und den Dörfern der Umgebung. Wenn sie dann zu einer Geburt gerufen wurde, machte sie sich zu Fuß auf den Weg, denn Autos waren damals noch eine Seltenheit. Nicht immer konnte sie dabei die ausgebauten Straßen benutzen, denn sie wollte ja möglichst schnell zu dem Geburtshaus gelangen. Wenn dieses Haus in einer anderen Gemeinde lag, folgte sie eben dem kürzesten Weg, und der führte mitunter „über Stock und Stein“, über Berg und Tal.
An den Weg, den die Selchenbacher Hebamme nach Herchweiler im Ostertal nahm, erinnert seit einigen Jahren in Selchenbach das so genannte „Ammepädche“. Der ehemalige Ortsbürgermeister Manfred Harth hat am Eingang in den Schacherwald ein entsprechendes Hinweisschild angebracht. Der Weg der Hebamme führte von der heutigen Alten Straße in den „Spelzengarten“, an dessen Ende der Schacherwald beginnt. Hier weist das an einer Buche angebrachte Hinweisschild mit der Aufschrift „Ammepädche“ in den Wald, aber nicht geradeaus, sondern nach links unten bis zum Waldesrand. Dort geht es innen am Waldrand entlang, wobei hin und wieder an einem Baum ein blaues Farbzeichen den Weg weist. Nach etwa 200 Metern wird unten im Tal, einige Meter tiefer, der Selchenbach sichtbar. Der kommt vom Unterdorf her, wo das Tal noch breit ist, sich dann aber verengt, wo die Abhänge des Schacherwaldes (rechts) und des Litzeldamms (links) sich herabsenken. Durch diese Engstelle, die nur wenige Meter breit, aber etwa 100 Meter lang ist, muss sich der Selchenbach hindurcharbeiten. Und diese Furt musste die Hebamme, vom Abhang des Schacherwaldes kommend, überqueren, um auf die Herchweiler Seite des Baches zu gelangen. Große Steinbrocken liegen heute noch im Wasser, was eine Überquerung zu einem nicht ungefährlichen Unterfangen macht. Doch Abhilfe ist in Sicht: Die Selchenbacher Flurbereinigung will demnächst eine sichere Überquerungsmöglichkeit schaffen.
Auf der anderen Seite wandte sich die Hebamme nach rechts und folgte dem stetig ansteigenden Fußweg den Berg hinauf, der nach etwa 500 Metern im spitzen Winkel auf den Weg trifft, der von Herchweiler zum Markeicherhof hochführt. Und hier findet sich ein weiteres Hinweisschild („Ammepädche“), das jedoch in Richtung Selchenbach zeigt. Von dieser Einmündung an geht es für die Hebamme nur noch bergab, und bald kommt sie an die obersten Häuser der verlängerten Brunnenstraße. Unten im Dorf trifft sie auch wieder auf den Selchenbach, der sich nach der Engstelle in einem großen Bogen um den Berg herumgeschlängelt hat und von der Hebamme im Ort auf einer steinernen Brücke überquert werden kann. Sie hat ihr Ziel, das Dorf Herchweiler, nun erreicht und trifft hoffentlich noch rechtzeitig in dem Geburtshaus ein.
Elisabeth Cordier praktizierte vier Jahrzehnte lang als Hebamme. Dabei besagt eine Ortsüberlieferung, dass ihr Ehemann, der auf einem Auge eine schwarze Augenklappe trug, immer als Erster gesehen habe, wenn im Dorf eine Frau schwanger geworden war. Adolf Cordier starb am 27. Oktober 1960, seine Frau einen Tag später.
Bilderserie zum "Ammepädche"
Ausweis der Hebamme von 1919
Zugang zum Spelzengarten
Hinweisschild Eingang zum Ammepädche
Blauer Punkt am Baum
Der Selchenbach wird sichtbar
Übergang über den Selchenbach
Am Ziel: Herchweiler
Ausweis der Hebamme 1941