Ein Opfer politischer Gewalt im Saar-Abstimmungskampf 1934/35

Die aus Selchenbach stammende Bertha Fuchs engagierte sich auf Seiten der „Einheitsfront“

 

Von Hans Kirsch

 

Durch den Friedensvertrag von Versailles, der am 10. Januar 1920 in Kraft trat, wurde das Saargebiet vom Deutschen Reich abgetrennt und unter Verwaltung des Völkerbunds gestellt. Nach Ablauf von 15 Jahren, so sah es der Vertrag vor, sollte die saarländische Bevölkerung „aufgefordert werden, sich für diejenige Staatshoheit zu entscheiden, unter welche sie zu treten wünscht“; also für Deutschland oder für Frankreich.

In den ersten dreizehn Jahren der Abtrennung war es die übereinstimmende Auffassung aller saarländischen politischen Parteien, dass das Land 1935 wieder zu Deutschland zurückkehren solle. Das änderte sich jedoch, nachdem im Januar 1933 die Nationalsozialisten im Reich die Macht übernommen hatten und alle anderen Parteien verboten und verfolgt wurden. Im Saargebiet schlossen sich Sozialdemokraten und Kommunisten zu einer „Einheitsfront“ zusammen und forderten, die Abstimmung zu verschieben („Status quo“). In dem folgenden Abstimmungskampf standen sich „Einheitsfront“ und „Deutsche Front“ (diese unter Führung des pfälzischen NS-Gauleiters Josef Bürckel) gegenüber und bekämpften sich scharf. Dabei griff insbesondere der „Ordnungsdienst“ der „Deutschen Front“, dem viele saarländische SA-Mitglieder angehörten, auch zu gewalttätigen Mitteln. Ein Opfer solcher Gewalt wurde auch eine Frau, die aus dem Kreis Kusel stammte: Bertha Fuchs aus Selchenbach.

Bertha Fuchs war im April 1896 in Selchenbach als Bertha Theobald geboren worden. Ihr Vater Adam Theobald war von Beruf Schmied; ihre Mutter hieß Philippine Theobald geborene Steigner und stammte aus Krottelbach. 1915 heiratete Bertha den Bergmann Emil Fuchs ausFuchs Bertha Langenbach, und danach wohnte das Ehepaar sieben Jahre lang in Selchenbach. Hier kamen auch die drei Töchter Berta (1915), Lina (1917) und Emilie (1919) zur Welt. 1922 zog die Familie nach Landsweiler-Reden, denn Emil Fuchs arbeitete dort auf der Grube Reden. Bertha trat 1931 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei und zog im Jahr darauf für diese auch in den Gemeinderat Landsweiler-Reden ein. Im selben Jahr wurde sie zur Vorsitzenden der „Internationalen Arbeiterhilfe“ des Saargebiets gewählt.

Im saarländischen Abstimmungskampf engagierte sich die mittlerweile im Land bekannte Kommunistin wie ihre Partei für den „Status quo“, hielt Reden und besuchte Veranstaltungen im ganzen Saargebiet. Am Abend des 2. November 1934 nahm sie an einer Versammlung des „Status quo“ in Saarbrücken-Burbach teil. Anschließend fuhr sie mit dem Zug nach Landsweiler-Reden zurück; vom Bahnhof aus ging sie allein zu Fuß in Richtung ihrer Wohnung in der Kohlwaldstraße. In der Nähe des katholischen Vereinshauses wurde sie gegen 23 Uhr von vier SA-Männern überfallen und schwer verletzt. Ein Passant fand sie bewusstlos und blutüberströmt, mit Messerstichen im Gesicht und am Kopf und Abdrücken von Schuhen oder Stiefeln am ganzen Körper.

Sechs Wochen lag Bertha Fuchs im Neunkircher Krankenhaus, hatte lange mit Erinnerungsverlust zu kämpfen und wurde die Kopfschmerzen ihr ganzes Leben lang nicht mehr los. Die Täter, die sie so übel zugerichtet hatten, wurden von der Polizei nie ermittelt. Anfang Januar 1935, kurz vor der Abstimmung, nahm Bertha Fuchs in Begleitung ihrer Genossen Wilhelm Frisch aus Landsweiler-Reden und Gustav Regler aus Merzig an einer Tagung des Völkerbundes in Genf teil, wo sie die Methoden der „Deutschen Front“ im Saargebiet anprangerten. Vor Bertha Fuchs war bereits in Heiligenwald der Kommunist Heinrich Sommer in ähnlicher Weise überfallen und schwer verletzt worden.

Bei der Abstimmung, die am 13. Januar 1935 stattfand, sprachen sich 90 Prozent der Abstimmenden für den Anschluss des Saargebiets an das Deutsche Reich aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Bertha Fuchs weiter für die KP des Saarlandes tätig; sie starb jedoch bereits im Dezember 1949 im Alter von 53 Jahren.

 

Quellen: 

Landesarchiv Saarbrücken, Best. LEA, Nr. D 3434; Arbeiter-Zeitung (Saar) vom 8.11.1934; Neue Zeit vom 26.5.1956; Mitteilungen Lina Bier geb. Fuchs, Landsweiler-Reden, vom 23.11.2000 an Verfasser.
Foto von Bertha Fuchs: Lina Fuchs